30. Juni 2015
Der Bildhauer
Wenn er sich aufregte, legte sie ihm beruhigend die
Hand auf den Arm. Es war der Blutdruck, weshalb sie sich um ihn sorgte. Denn
wenn er so richtig loslegte, war er schnell auf Hundertachtzig und mehr. An
einem Freitagmorgen passierte es, am Abend wollten sie zum Urlaub in die
Provence fahren, als er sich wegen einer Lapalie aufgeregt hatte und ins Bad
ging, um sich zu rasieren. Sie hörte einen Schlag und befürchtete das
Schlimmste. Schon zehn Minuten nach ihrem Anruf erschien der Rettungswagen.
Vergebens.
29. Juni 2015
27. Juni 2015
26. Juni 2015
Wenn es in den Sommerurlaub geht, lassen sie es krachen. Mit dem Zug fahren sie bis zur Schweizer Grenze, mieten sich attraktive Karossen und steuern sie ins Tessin, wo sie ganz unter Ihresgleichen sind, volle drei Wochen lang. Nur der Alte bleibt der, der er ist, er fährt mit dem Zug dorthin. Einmal, er kam etwas früher an als der Rest des Clans, hat ihn der Concierge des Edelrestaurants abgewiesen. Es kostete ihn Mühe, nachzuweisen, wer er ist. Selbst dran schuld, spöttelte seine Tochter.
25. Juni 2015
Der Typ am anderen Tisch
Mit seiner spitz zulaufenden Nase und den runden Äuglein erinnert er an einen Igel, der eine Maus im Fokus hat.
24. Juni 2015
Wie
gerne wäre er Richter oder Staatsanwalt geworden, aber dafür waren seine Examensnoten zu schwach. Da
es auch zum erfolgreichen Anwalt nicht langte, machte er sich an vermögende
alte Damen heran. Organ der Rechtspflege nennt er sich, und
kommt daher, als trüge er das gesamte Gewicht der Justiz auf seinen Schultern.
Dabei ist er nichts anderes als ein rechtskundiger Gauner.
23. Juni 2015
22. Juni 2015
Es war neunzehnhundertpaarundsechzig, als sie sich bei
einem öffentlichen Tanzabend kennenlernten. Er war ihre große Liebe und sie die
seine. Im Mai feierten sie ihren 46. Hochzeitstag. Ein paar Tage danach,
er las gerade die Zeitung, meinte sie beiläufig: „Ich möchte mich von Dir
trennen.“ „Mmh“, brummte er abwesend. Plötzlich senkte er die Zeitung. Er sah
sie ungläubig an. „Du möchtest was? ... Bist Du bekloppt?“ Zwei Tage später
fuhr er mit seinen Kegelbrüdern zum Jahresausflug ins Badische. Als er zurückkam,
war sie ausgezogen. Sie wohnt jetzt, ein paar Kilometer entfernt, im Haus ihrer
Enkelin.
20. Juni 2015
Er fuhr die schärfsten
Karossen, logierte in den teuersten Hotels, und seine Frauen staffierte er in
den edelsten Boutiquen aus. Letzten März war es dann so weit, was viele längst
kommen sahen: Er musste die Finger heben. Machulle! Wie auf Knopfdruck fing er
jetzt an, das einfache Leben zu propagieren, alle verrückt zu machen, sie
würden falsch leben: „Leute, ich sage Euch, so zufrieden wie jetzt, war ich
noch nie ... Könnt Ihr mir glauben! Ehrlich! Der Mensch hängt viel zu sehr an
den Dingen, anstatt über sich und die Welt nachzudenken. Brauchst du tausend
Hemden? Brauchst du nicht! Sechs, sieben ... ach was, drei, vier reichen dicke.
Tausend Hosen? Überflüssig! Hast doch nur einen Arsch.“ Bin mal gespannt, wie
lange seine Freunde sich den Scheiß noch anhören und ihn ganz
selbstverständlich einladen, wenn er in der Kneipe auftaucht. Andererseits –
wie sähe die Welt aus, wenn es Typen wie ihn nicht gäbe?
18. Juni 2015
17. Juni 2015
Wie er so neben ihr herschreitet, gut einen halben Kopf kleiner als sie, gleicht er einem Rüden, der zum Siegerpodest geführt wird. Ich stelle mir vor, was wäre, wenn er jetzt anfinge zu bellen. Statt dessen lächelt er nach allen Seiten. Sie versucht, es ihm gleichzutun, was ihr aber nicht gelingen will. Es scheint so, als habe der Schöpfer für die Architektur ihres Gesichts ein Lächeln nicht vorgesehen.
16. Juni 2015
„Möchten Sie einen Strohhalm?“ fragt sie mich. Ich nicke, und sie gibt mir ein orangefarbenes Röhrchen. „Kein Strohhalm?“ frage ich. Irritiert schaut sie mich an. Dann lächelt sie und sagt: „Trinkhalm.“ Der hinter mir bestellt auch eine Bionade. „Möchten Sie einen Trinkhalm?“ fragt sie ihn. „Nee, hier ... so’n Strohhalm.“
15. Juni 2015
14. Juni 2015
13. Juni 2015
am Gemüsestand
Vor mir das junge Paar mit den beiden Kindern kann sich anscheinend nicht entscheiden. Sie sieht ihn fragend an, während er mit den Schultern zuckt und ihr etwas ins Ohr sagt, woraufhin sie bedächtig den Kopf schüttelt. Als nur noch ein Kunde vor ihnen ist, sagt sie mit entschiedener Stimme: „Ich mach’ Blumenkohl. Der ist heute günstig.“ Ich schäme mich ein wenig, weil ich nicht auf den Preis achten muss.
12. Juni 2015
Frauen! Das endgültige Argument!
Die Miktion im Stehen birgt eine
Gefahr, die bei Männern aller Altersgruppen auftreten kann. Die
Betroffenen sind meist schlaftrunken mit überfüllter Blase, nicht selten nach Alkoholkonsum und
unmittelbar nach dem Aufstehen. Sie fallen während der Miktion abrupt oder nach einem kurzen Schwindel zusammen, was zu erheblichen
Verletzungen führen kann. Dauer der Bewusstlosigkeit circa 1 Minute. Zur
Vorbeugung wird Pinkeln im Sitzen empfohlen.
11. Juni 2015
10. Juni 2015
9. Juni 2015
8. Juni 2015
7. Juni 2015
Ein Fall von gelungener Integration.
Noch bevor ich entschuldigend die Hand heben kann, zeigt mir die Frau am Steuer, eine junge Thailänderin, den Vogel, und den gleich zweimal.
6. Juni 2015
5. Juni 2015
Zeitgemäß
Als sie jung war, tat sie es mit denen, die glaubten, es noch zu sein. Jetzt packt sie sich Junge und macht sie alt.
4. Juni 2015
Fast jeden Abend fahre ich mit dem Rad auf einen Espresso ins Jasper’s. Hinter dem Tresen hängt schon seit Jahren dasselbe Plakat an der Wand. Stets kommt mir der Protagonist aus Thomas Bernards Roman „Alte Meister“ in den Sinn, der jeden zweiten Tag ins Museum geht und dort vor Tintorettos „Weißbärtigem Mann“ meditiert. Über das Plakat habe ich noch nie nachgedacht.
3. Juni 2015
2. Juni 2015
Auf dem Wochenmarkt
Woher soll der wissen, aus welcher Region der Salat
stammt? Wahrscheinlich hat sein Chef in der Großmarkthalle den
gekauft, der der billigste war. Ich an seiner Stelle würde jetzt nach einem
Salatkopf greifen und ihn fragen: „Wo kommst du her?“, einen Augenblick warten
und mich wieder dem Kunden zuwenden: „Sehen Sie, er sagt’s nicht.“ Ob ich das
wirklich tun würde?
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