31. Oktober 2015

Kann man doch verstehen, dass auch sie mal Druck machen will, sagt ihre Freundin. Tochter macht Druck, der Ex macht Druck, Mutter macht Druck und die Erbtante macht Druck … Bis vor kurzem hatte sie einen, bei dem sie Druck machen konnte. Bis vor kurzem. 

29. Oktober 2015

Es ist bestimmt zwanzig Jahre her, dass K. das letzte Mal ein Buch gelesen hat, wenn man die Gemeindeordnung seines Dorfes, wo er Bürgermeister war, als Buch bezeichnen darf. Und mindestens ein Liter Wein pro Tag ist vielleicht auch des Guten zuviel.

28. Oktober 2015

Er betrachtet die Frauen mit dem gleichen Interesse wie er den Himmel in Augenschein nimmt, bevor er sich mit seinen Freunden zum Marathontraining trifft; ein beneidenswert cooler Typ, durch nichts zu erschüttern.

26. Oktober 2015

Seine Bartstoppeln sind stellenweise grau geworden, seine Figur ist noch immer tadellos und sein Haar von ein paar weißen Fäden durchzogen, was nicht auffiele, wäre es blond und nicht schwarz. Nur sein Denkvermögen hat sich seit seiner frühen Jugend um kein Jota verändert.  

25. Oktober 2015

Warnung vor Innenarchitekten!
Da hat sich mit Sicherheit einer für teuer Geld ausgetobt, dachte er, als sie ihm die Tür öffneten und er  in das Wohnzimmer blickte, das wie ein perfekt geschminktes Model darauf zu warten schien, abgelichtet zu werden – die Regalwand 606 von Dieter Rams, vollgeladen mit dickleibigen Bänden, davor der Dining Table von Le Corbusier, auf dem Wilhelm Wagenfelds Fürstenbergschale wie ein Museumsstück thronte; an der linken Wand ein Kunstdruck von Paul Klee, aufregend wie sein Geburtsort Münchenbuchsee, und daneben ein Vasarely; darunter zwei Barcelona-Sessel von Mies van der Rohe, und vis-à-vis vom Flachbildschirm, Marke Bang & Olufsen, der Wassily-Sessel von Marcel Breuer. In Gedanken hängte er ein Schild an die Tür: Betreten verboten!

24. Oktober 2015

Er ist ein langer, schlaksiger Kerl mit strohblondem Haar und tiefliegenden Augen. Ständig knurrt er Fuck!, was er von seinem amerikanischen Freund John übernommen hat, einem GI, den er vor Jahren in Heidelberg kennenlernte. Als er erfuhr, dass John in Afghanistan gefallen ist, sagte er: Mein Gott –!

23. Oktober 2015

Ich nicht, und Du auch nicht.

Der Trick des Zauberers ist ein pfiffiges Kunststück, das sich auf die Trägheit des Auges verlässt. Macht der Zauberer einen Fehler, hat er sich ent-zaubert. Bei rhetorischen Tricks verlässt sich der Trickser auf die Arglosigkeit des Geistes. Wird der Trick erkannt, ist das Vertrauen perdu. Hinzu kommt die Verletzung der intellektuellen Eitelkeit; denn wer will schon gerne für dämlicher gehalten werden als er ist?!

20. Oktober 2015

K. ist Beamter im Ruhestand. Er lebt in einem Dorf in der Pfalz, mit zwei großen Hunden und einem kleinen Hund, den die Frau, die vor fünf Jahren bei ihm eingezogen ist, mitgebracht hat. Er ist ein richtiger Schulmeister, sagt die Nachbarin, ein besserwisserischer. Seinen Arzt, mit dem er am Stammtisch sitzt, hat er belehrt, was von Chemotherapie zu halten ist, nämlich nix, und wenn ihm einer etwas berichtet, wovon er noch nichts gehört hat, sagt er: Des glaab ich net! Dass Menschen aus Syrien anders ticken sollen, hält er mindestens für Quatsch, wenn nicht gar für islamophob. Vor drei Wochen hat er sich darum beworben, zwei syrische Flüchtlinge aufnehmen zu dürfen. Vorgestern kamen sie. Als sie die drei Hunde sahen, suchten sie fluchtartig das Weite. Fassungslos blickte er ihnen nach, wie die Nachbarin beobachtet haben will. Würdest du denn in ein Haus ziehen, in dem drei Schweine als Haustiere gehalten werden? versuchte es ihm ein Kollege zu erklären. Empört brüllte er ihn an: Meine Hunde sind doch keine Schweine! Jetzt suchte auch der Kollege das Weite.

19. Oktober 2015


Auf diesen Absätzen angstfrei und erhobenen Hauptes übers Pflaster zu schreiten, setzt die Trittsicherheit eines Haflingers voraus.

18. Oktober 2015

Das Fleisch vorzuschneiden, um es bequem zu sich nehmen zu können, wurde als eine Verletzung bürgerlichen Anstands nicht zugelassen. Principiis obsta! hatten schon die alten Römer gewarnt, sagte er, der das Latinum hatte, und übersetzte: Wehret den Anfängen! Denn wer sein Fleisch vorschneidet, der hängt auch irgendwann den arbeitslosen Arm unter den Tisch, mitsamt der Schulter.  

17. Oktober 2015

Was einem im Keller so alles einfällt …



Wenn sich sein Vater in seinen jungen Jahren verspätete, weil es am Stammtisch heiß herging, nahm er auf dem Nachhauseweg einen Strauß Blumen mit, um dem Ärger, der ihn erwartete, die Spitze zu nehmen. Das funktionierte so lange, bis sie erfuhr, dass er das Drachenfutter nannte. Ab da halfen ihm nicht einmal mehr Rosen, auch dann nicht, wenn es rote waren.

16. Oktober 2015

Ein sonniges Gemüt

„Ich muss bei den besorgten Mitbürgern immer ein wenig lächeln. Ich sage denen gern: Gehen Sie sonntags in die Kirchen, dann müssen Sie keine Angst vor vollen Moscheen haben.“ 
Margot Käßmann, ehemalige Landesbischöfin und Botschafterin der EKD für das Lutherjahr 2017

„Margot Käßmann hat sich vor einiger Zeit von ihrem Mann scheiden lassen, im vergangenen Jahr ist sie betrunken Auto gefahren, neben ihr saß ein unbekannter Mann. Würde sie in Saudi-Arabien leben, säße sie jetzt wahrscheinlich im Gefängnis.“ 
Markus Feldenkirchen in DER SPIEGEl, 2011

15. Oktober 2015

Thomas Meiers Geschichte (Name geändert)

Es muss die Wahrheit sein, denn keine Lüge kann so erbärmlich schlicht  gebosselt sein, es sei denn, ein intellektuell Begnadeter hat sie sich ausgedacht und sich dumm gestellt, und das ist er gewiss nicht.

14. Oktober 2015

Wie gerne würde er sich ihren Anblick einbalsamieren lassen, um ihn jederzeit zur Verfügung zu haben. Zuletzt war er nahe dran, ihr das zu sagen. Damit wäre aber jede Unbefangenheit zwischen ihnen verloren gewesen. Und wer weiß, ob sie das nicht ihrer Freundin weitererzählt hätte. Sowas macht schnell die Runde.
Zwei Tage lang kein mail-Versand, kein mail-Empfang. Wie in einem abgeschlossenen Zimmer ohne Fenster gelebt. Dann eineinhalb Stunden telefoniert, von einem zum anderen, ganz wie der Buchbinder Wanninger. Jetzt endlich wieder mit der Welt verbunden.

13. Oktober 2015

Gespräch mit einem jungen Mann

„Wieso eigentlich tragen so viele Gauner eine Rolex?“
„Auf der Flucht ist die Rolex eine Währung, die du überall eintauschen kannst. Davon kannst du, je nach dem, wohin es dich verschlagen hat, ein, zwei Jahre leben. Das ändert nichts daran, dass das ein edler Chronometer ist. Der Dalai Lama hat auch eine.“
„Dann möchte ich auch eine.“
„Du hast den falschen Beruf, amigo!“

12. Oktober 2015

Vorhin voll danebengelangt

Eine Sechzehnjährige älter zu schätzen, kommt als großes Kompliment an. Ab Mitte dreißig schlägt das in Kränkung um.