31. März 2015

Er kann sich stundenlang zuhören, ohne sich zu langweilen. Eine Frau, mit der er vor Jahren zusammen war, gestand ihrer Freundin, sie habe sich von ihm getrennt, weil sie es irgendwann nicht mehr ertragen konnte, den ganzen Tag lang ein Verbalgewitter über sich ergehen zu lassen. Schon morgens, wenn er aufstand, sei das losgegangen. Selbst wenn er schlief, hätte er keine Ruhe gegeben. Ein Psychologe habe ihr gesagt, das nenne man Logorrhö, eine Art chronischer Sprechdurchfall. Zu behandeln sei das nicht. Wie denn auch? Der lässt doch einen Therapeuten gar nicht zu Wort kommen, habe der Psychologe gesagt.    

30. März 2015

Eine innere Ruhe kehrte ein, und die Zuversicht, dass es, wie auch immer, irgendwie weitergehen würde, es bestimmt eine Lösung gäbe, die vielleicht in der Ferne lauerte und darauf wartete, entdeckt zu werden, wer weiß.

28. März 2015

„Bitte zwei Glas Apfelwein und zweimal Rippchen mit Sauerkraut und Püree“, bestellte der Ältere mit Hamburger Zungenschlag. „Derfs auch Kartoffelbrei sein?“ knurrte der Kellner und drehte ab. Beide sahen sich konsterniert an. Man hätte ihnen halt sagen sollen, dass dem Sachsenhäuser Kellner jeder konziliante Umgangston fremd ist. Er erwartet eine schnörkellose Ansage, knapp und präzise: Zwei Schobbe, Rippcher mit Kraut un Kartoffelbrei. Punkt. Schluss.

27. März 2015

Wenn er etwas sagte, das sie für bemerkenswert hielt, stieß sie ach! aus, und schon sackte sie wieder in sich zusammen, als wäre ihr Einwurf ein Kraftakt gewesen.

26. März 2015

Rudelbildung

















Wird beim Fußball mit einer, nicht selten zwei Gelben Karten geahndet.

25. März 2015

Die Schauspielerin

Auch wenn sie schon auf die fünfzig zugeht, ist sie doch fest überzeugt, den Durchbruch noch zu schaffen. Meist spielt sie Volk, wie zuletzt in der Docu-Soap über die Völkerschlacht bei Leipzig. Ihr Mann ist Chemiker und arbeitet in der Forschungsabteilung eines amerikanischen Konzerns. Er ist sehr stolz auf sie. Wenn er sie zum Set fährt, steigt sie ein paar Straßen vorher aus. Denn sähe eine der Kolleginnen sie in einem fetten BMW daherkommen, müsste die doch denken, die Schauspielerei sei ihr Hobby. Zuletzt ist es dann doch passiert. „Na, haste dir nen Lover angelacht?“ sprach die Kollegin und rieb Daumen und Zeigefinger aneinander. Schmutzig grinste sie zurück und erwiderte: „Darüber spricht man nicht.“ Keine andere hätte das überzeugender darstellen können.

24. März 2015

Ihr schrilles Lachen, das mit einem explosiven Aufschrei begann, weckte das Grausen vor dem nächsten Mal. Bitte nicht schon wieder, dachten alle und gaben sich redlich Mühe, ihr muffigstes Gesicht aufzusetzen, in der Hoffnung, eine auflachhemmende Wirkung auszulösen. Vergebens.

23. März 2015

Die Summen, die der Familie alljährlich zufließen, aus Aktien und allen möglichen Beteiligungen, sind immens. Um nicht die Götter des Neids zu wecken, darauf hatte schon der Stammvater hingewiesen, ist bescheidenes Auftreten angesagt, und daran halten sich alle. Dabei geht der chef de famille, wie sie ihn nennen, beispielhaft voran. Wenn er auf der Straße säße, bestimmt würde ihm jeder, der nur über ein Quentchen Mitleid verfügt, einen Euro in den Hut werfen, mindestens, so erbarmungswürdig sieht er aus in seinen abgetragenen Cordhosen und den braunen Schuhen, die seit Jahr und Tag kein Fett mehr gesehen haben. Man kann’s auch übertreiben, meint sein Sohn, der nicht gerade durch Extravaganzen auffällt, aber immerhin anständige Klamotten auf'm Leib hat, wie sein Frau sagt, die aus einfachem Hause stammt.

22. März 2015

Er ist Musiker. Die Natur hat ihm ein feines Gehör mitgegeben. Dass er aber die Kleine schreien hört, bevor sie schreit, kann nicht seinem Gehörsinn zugeschrieben werden.

21. März 2015


Es war um die Mittagszeit, als ihm die vier Frauen entgegenkamen. Er musste an die drei Earp Brothers und Doc Holliday denken, wie sie in Tombstone zum Showdown durch die Dorfstraße schritten. Das war anno 1881, zu jener Zeit, als Wilhelm I. auf Anraten Bismarcks den Reichstag aufforderte, ein Gesetz zur finanziellen Absicherung der Arbeiter gegen Unfall, Krankheit, Invalidität und Alter zu beschließen.

20. März 2015

Kennst du das Land, wo die Zitronen blühn,
im dunkeln Laub die Goldorangen glühn,
ein sanfter Wind vom blauen Himmel weht,
die Myrte still und hoch der Lorbeer steht?

Wäre die Fotografie früher erfunden worden,
vielleicht hätte Goethe statt dessen ein paar Mal
auf den Auslöser gedrückt.

19. März 2015

Vielleicht steigt er demnächst auf einen Leopard um.

Schließlich entdeckte ihn einer in seinem Seminarraum. Er war dabei, seinen linken Zeigefinger, den er sich beim Griff in die Schreibtischschublade an einer Reißzwecke gestochen hatte, mit Mercurochrom zu behandeln, ein Desinfektionsmittel, das er immer dabeihat, wie andere Leute ihren Personalausweis. Wenn es um seine Gesundheit geht, ist er von fanatischer Wachsamkeit. Ein bisschen Husten, und schon erscheint er beim Arzt und lässt sich die Lunge abhören. Nur wenn er in seinem Porsche sitzt, kennt er kein Pardon. Mit quietschenden Reifen zieht er los wie ein Vorstadtcasanova, der seiner Tusse imponieren will, und ab geht die Post, und immer auf der linken Spur. Bis vor kurzem! Zwischen Frankfurt und Wiesbaden war er Zeuge eines Auffahrunfalls geworden. Der Anblick des Fahrers, den die Feuerwehr aus dem zusammengequetschten Passat mit einem Schneidbrenner herausholte, muss ihn schwer geschockt haben. Schon am nächsten Tag beschloss er, seinen Porsche gegen einen Mercedes einzutauschen. 

18. März 2015

Engländer sind sehr angenehme Gäste, meint die Wirtin, sie sind nie zu laut, verhalten sich immer kontrolliert (nie hat sie erlebt, dass einer ein Glas oder eine Flasche umgestoßen hat), sind gepflegt gekleidet, und sie maulen nicht, wenn mal etwas schiefgeht. Und noch nie hat einer ihrer Bedienung auf den Hintern geklatscht, wirklich noch nie, hebt sie hervor. Russen sind da etwas anders, wenn sie einen in der Krone haben. Weil sie Wodka gewohnt sind, trinken sie den Wein, als wenn es Wasser wäre, und plötzlich fallen sie um oder sie werden ausfällig. Sie lacht in einer Art, als schämte sie sich, zu viele Geschäftsgeheimnisse ausgeplaudert zu haben, und ergänzt, dass natürlich nicht alle so sind.

17. März 2015

Sie sei eine bienenfleißige Frau, nichts sei ihr zuviel, ein Pflichtmensch, rechtschaffen, unbestechlich, wie man sich eine Verwaltungsangestellte nur wünschen könne, und durchaus nicht ohne Reiz, schwärmte der Altbürgermeister. Allerdings dumm wie Bohnenstroh, hat er der Ordnung halber drastisch ergänzt.

16. März 2015

Frankfurt am Main
Al Capone wurde 1899 als Sohn italienischer Einwanderer in Brooklyn geboren. In den 1920er und 1930er Jahren war er einer der skrupellosesten Mafia-Verbrecher in den USA. Seine Geschäfte machte er u.a. mit Prostitution, Schutzgelderpressung, Bestechung und Bedrohung. Seit dem Massaker am Valentinstag anno 1929 in Chicago nannte die Presse ihn Staatsfeind Nr. 1. Er starb 1947 an den Folgen einer Syphilis, die er sich bei einer Prostituierten zugezogen hatte. Al Capone gehört heute zur italienischen Identität. Zahlreiche Pizzerien und Produkte tragen seinen Namen.

15. März 2015

Ruhelos wälzte er sich im Bett, während sie zusammengekauert neben ihm lag und fest schlief. Leise stand er auf und machte sich einen Kaffee. Als er Zucker einrührte, stand sie plötzlich neben ihm. Sie fuhr ihm mit der Hand übers Haar, griff nach seiner Tasse und nahm einen Schluck. 

14. März 2015

„Der Nächste, bitte“, rief die Verkäuferin.

Mit sarkastischem Lächeln wandte Eva sich ihrem Mann zu. „Was ist?“, fragte er verunsichert. „Sexismus! Merkste das denn nicht?“ Eva hat ein ausgeprägtes Sprachgefühl, das sie von ihrer Mutter, einer Altachtundsechzigerin mit androgynem Kurzhaarschnitt, geerbt hat.

13. März 2015

Zum Ungeheuer, Forst an der Weinstraße




























Es war der 8. Februar, als sie beim Mittagessen in der Gaststube saßen und sein Telefon sich meldete. Charlotte sei in der letzten Nacht angekommen, früher als erwartet, aber wohlbehalten. Daran dachte er, gestern Morgen, als er auf dem Rad vorbeifuhr. Später, wenn er ihr davon erzählen wird, wird sie bestimmt wissen wollen, was es mit dem merkwürdigen Namen des Gasthauses auf sich hat. Er wird ihr sagen, dass es nach einer der besten Weinlagen der Pfalz benannt ist. Und er wird ihr sagen, dass seine Freude ungeheuer war, damals, am 8. Februar 2015, um die Mittagszeit.

12. März 2015

Er war von mittlerer Größe, mit wenig Haar auf dem Kopf, das ihm strähnig an den Seiten herunterhing, eine Mischung aus blond und grau, und einem dazu passenden geröteten Gesicht, das ihn an den irischen Kollegen erinnerte, den er vor Jahren bei einem Kongress kennengelernt hatte. Merkwürdig, dachte er, egal, was du liest, siehst, hörst, schmeckst, riechst … immer dockt sich Vergangenheit an. 

11. März 2015

Männer ohne Frauen

Heute Mittag in Forst, die Kellnerin legt ihm zwei Karten hin. „Ach, Sie sind alleine?“ Ja, alleine! Heute Abend in Deidesheim, er bittet die Kellnerin, ihm einen Tisch zuzuweisen. „Sie sind alleine?“ Gereizt erwidert er, seine Frau habe ihn verlassen. Nach einem kurzen Zögern deutet sie auf einen Vierertisch, auf dem ein Reserviert-Schild steht. Sie nimmt es weg und sagt leise: "Bitte sehr!" Vielleicht war er jetzt doch etwas zu weit gegangen.

10. März 2015

Kein Laut drang von draußen herein. Auch das Zirpen der Heimchen war längst verstummt. Irgendwann meldeten sich zaghaft die ersten Frühaufsteher, und bald schon hatte sich ein ganzer Chor formiert. Seltsam, jeder singt in seiner eigenen Tonart, und doch klingt es harmonisch.

9. März 2015

R. war einige Jahre Richter, bevor er sich entschied,  Staatsanwalt zu werden. Er ist, wie es unter seinen Kollegen heißt, ein scharfer Hund, dessen ungeachtet – ein strikter Gegner der Todesstrafe. Nur in zwei Fällen wäre er bereit, eine Ausnahme zu machen: Beim Erfinder der Glasbausteine und dem der Damenstrumpfhose.

8. März 2015

… des Lied ich sing.

Noch in den Achtzigerjahren des 20. Jahrhunderts ließ der Vatikan verlautbaren, die Mafia, die gäbe es gar nicht, das sei eine freche Erfindung der Kommunisten. Das sagt er heute nicht mehr. Aber so ganz sicher scheint er sich nicht zu sein, wenn man Nicola Gratteri, dem Generalstaatsanwalt von Reggio Calabria, Glauben schenken darf: „Es gibt Pfarrer und Bischöfe, die vor Gericht zugunsten von Mafiosi aussagen, weil diese gute Menschen und gute Christen seien.“ Bedenkt man, dass der Heilige Stuhl 400 Jahre brauchte, um anzuerkennen, dass die Erde sich um die Sonne dreht, muss das letzte Wort zur real existierenden Mafia wohl noch einige Zeit auf sich warten lassen. 

6. März 2015


Die weißen Lamellen der beiden äußeren Fenster waren hochgezogen. Hinter dem mittleren stand ein Engel mit gefalteten Händen. Vorgestern ist sie operiert worden. Sechs bis acht Stunden würde die Operation dauern, hatte sie gesagt, und er hatte versprochen, an sie zu denken. Vielleicht würde es ja helfen, hatte sie gemeint und dabei gelacht. Als das Blubbern in ein Röcheln überging, wusste er, dass der Kaffee fast durchgelaufen war. Er ging in die Küche und holte eine Tasse aus dem Schrank. Schwärzer als sonst, stellte er fest, während er eingoss. Aber er schmeckte wie immer. 

4. März 2015

„Die Idee des Rassismus terrorisiert die Linke so, dass sie den Muslimen alles erlaubt, fast alles.“ (Michel Houllebecq in SPIEGEL Nr. 10/28.2.2015)

3. März 2015

Der Mann am hinteren Tisch

Er gähnte und starrte mich dabei mit weitaufgerissenen Augen an, als hätte ihm einer einen Stock in den After gerammt. Erst als er ansetzte, den Mund zu schließen, kam er  auf die Idee, die Hand davorzuhalten. 

klug wie Else

Ganz gleich von welchem Missgeschick du ihr erzählst, sofort hat sie deinen Fehler ausgemacht: „Ei, hättste doch …“, „Da musste halt …“, „Wie konnteste denn …“ Da hilft nur demütiges Schweigen. Und sich wieder einmal fest vornehmen, in Zukunft den Mund zu halten.

2. März 2015

WESTEN
aus östlicher Sicht

Gefahrvolles Ritual

Die beiden umarmten sich und schlugen sich immer wieder kräftig ins Kreuz. Je länger Männer sich nicht gesehen haben, umso höher ist die Verletzungsgefahr, der sie sich bei der Begrüßung aussetzen. 

1. März 2015

Den Religionen verdankt sich manches:

die Zehn Gebote, die Bergpredigt, Misereor, Brot für die Welt, Diakonie, die großen Kathedralen, Koran, Talmud, Kreuzzüge, die Inquisition, der Dreißigjährige Krieg, prachtvolle Moscheen und Synagogen, IS, Auspeitschungen, Kopfabschneiden, Selbstmordattentate, die Hölle, der Dschihad, die Scharia, Burka, Pegida, Al-Qaida, Nine-Eleven, Jungfrauen im Paradies und vieles, vieles mehr.